Warum Schwyzer das Meer nicht sehen können, vom Keller-Entrümpeln und anderen Versuchen zur Rettung der kantonalen Kunst- und Kulturszene.
Haben Sie sich schon mal den Spass gemacht und alle Kunsthäuser unserer 26 Kantone im Netz rausgesucht? Nicht? Machen Sie mal! Und dann schauen Sie beim Kanton Schwyz hin. Und? Nicht ganz wie erwartet, oder?
Unter kunsthausschwyz.ch finden sich klapprige Hütten, Stromhäuschen, die schon bessere Zeiten gesehen haben, Scheunen und unwirtliche Industrietürme mit der Aufschrift «Kunsthaus Schwyz».
Und all diese «Kunsthäuser» sind tatsächlich perfekt für den Kanton Schwyz. Sie kosten weder Strom noch Miete, kein Personal muss bezahlt, kein Kurator eingestellt werden. Das Ganze ist komplett kostenfrei, und vor allem: nicht wirklich existent.
Die Idee für die künstlerische Intervention «Kunsthaus Schwyz» stammt von Erhard Sigrist. Der bildende Künstler und Webdesigner entschied sich, Kunsthäuser im virtuellen Raum zu schaffen – da diese keine politische Mehrheit, Gesetzesvorlage oder Baubewilligung brauchen.
Ausserdem sei es ihm wichtig, bestehende Gebäude im Kanton noch vor einem möglichen Abbruch zu dokumentieren. Dies da der kulturhistorische Wert von Häusern in Schwyz oft nicht erkannt werde, ergänzt er, um damit dem oft kritisierten Schwyzer Denkmalschutz noch einen kleinen Tritt vors Schienbein zu geben.
Die Mühlen in Schwyz mahlen langsam und gleichmässig und zermalmen die Zartbesaiteten, wenn sie nicht in einen Nachbarkanton flüchten.
Der politische Wille, der Kultur im Kanton Schwyz einen angemessenen Stellenwert respektive Raum zu geben, sei leider nicht vorhanden, sagt Sigrist. Dies sehe man allein schon an der Tatsache, dass es im Kanton Schwyz kein Kulturgesetz gibt. Keines. Die Schwyzer Stimmbürger hatten 2005 darüber abgestimmt und es verworfen.
Erhard Sigrist schätzt, dass sich der Kanton Schwyz in einem eigenen Raum-Zeitkontinuum befinde und nicht vor 2250 mit der Eröffnung eines Kunsthauses im Kanton zu rechnen ist. «Die cheibe Berge verstellen die Sicht aufs Mittelmeer», versucht Sigrist eine Erklärung für den Blickwinkel der Schwyzer Ureinwohner zu finden.
Sigrist entschied sich deshalb 2013, der Sache auf seine Art zu begegnen und startete einerseits das Foto- und Postkartenprojekt «Kunsthaus Schwyz», bei dem ihm Fotos von windschiefen, altersschwachen und unwirtlichen Gebäuden geschickt werden konnten, die er dann mit dem Schriftzug «Kunsthaus Schwyz» versah und auf der Website des Projekts präsentierte.
Das «Kunsthaus Schwyz» wurde 2015 dann auch zu einer Veranstaltungsreihe in der Galerie Kunst & Kleider und einer in der Galerie am Leewasser in Brunnen. In zweiter stellten Videokünstlerinnen aus, Fotografen und Performancekünstlerinnen, namentlich: Marion Ritzmann, Irene Müller, Damian Jurt, Mischa Camenzind, Martin Gut und Brigitte Friedlos.
Die Galerie am Leewasser in Brunnen war, wenn man so will, eine ganze Weile das innoffizielle Kunsthaus des Kantons Schwyz. Als 1996 in Brunnen die alte Zementfabrik veräussert wurde, hatte die Ur-Enkelin des Gründers, Monica Amstad-Hürlimann, die Idee, einen Teil ihres Erbes für «öbis Lebändigs im Dorf z gä» und gründete 2001 die Galerie am Leewasser.
Hier wurden nicht nur bildende Kunst und Malerei präsentiert, sondern auch Lesungen und Konzerte veranstaltet; sie entwickelte sich zu einem Veranstaltungsort, einem Treffpunkt für Kulturschaffende aus dem gesamten Kanton. 2016 jedoch – nach 15 Jahren – entschied sich die Familie Amstad dazu, die Galerie zu schliessen. Eine Zusammenarbeit mit dem Kanton und der Gemeinde kam nicht infrage, da der Kanton Schwyz Kunst und Kultur nur projekt- und nicht objektorientiert fördert.
Keine Kohle für Kultur
2017 verabschiedete sich der Kanton Schwyz aus dem Kulturlastenausgleich mit Luzern, Zürich, Zug und Aargau und unterstützt Kulturhäuser ausserhalb des Kantons nur noch über Geld aus dem Lotteriefond und freiwillige Beiträge aus der Staatskasse.
Mit dieser Entscheidung als Statement bewies der Kanton Schwyz einmal mehr seinen leidenschaftlichen Sparwillen auf Kosten von allem, was sogenannt «schön und nutzlos» ist.
Als Kunstschaffende hat man es im Kanton Schwyz nicht leicht, da ist man sich einig. Und auch ich muss in das leidige Lied einstimmen: Ja, die Mühlen im Kanton Schwyz mahlen langsam und gleichmässig und zermalmen noch immer die Zartbesaiteten und Träumerinnen, wenn sie nicht in einen Nachbarkanton flüchten. Dahin, wo man auf Interesse und Fördermittel stösst und mit seiner Arbeit ernst genommen wird.
Wie schön es doch wäre, wenn die Arbeit von Kulturschaffenden im Kanton Schwyz zukünftig als Arbeit anerkannt würde, sagt auch Sigrist. «Wenn du dich schon selbst verwirklichen musst, dann mach das doch in deiner Freizeit.» Solche Aussagen sind nicht selten.
Nun aber genug der Häme! Trotz aller Widrigkeiten gibt es auch Positives aus dem scheinbar kunstmüden Kanton zu berichten: Das Aktionskomitee Kanton Schwyz (AKSK) hat mit dem Kulturtisch ein Angebot für Schwyzer Kulturschaffende zur Vernetzung und gemeinsamen Interessenvertretung geschaffen.
Anfang November 2021 war im Zeughaus Pfäffikon das Projekt «Kunst-Stafette» von Sarah Jäger zu sehen. Siebzehn Künstler*innen gestalteten die Ausstellung dabei gemeinsam. Caroline Brühlmann macht aus den alten Telefonkabinen am Bahnhof Brunnen Kunsträume, die am 27. November 2021 von Janine Schranz mit «Remembering a voice from afar» eröffnet werden. Und Bruno Steiner initiierte das Projekt KULTURFRAGEN und untersucht darin den Stellenwert von Kunst und Kultur im Kanton Schwyz. Die Veranstaltungsreihe dazu startet 2022. Es gäbe sie also, die zeitgenössische Kunst, um Schwyzer Ausstellungen zu bestreiten. Und auch älteres Material wäre bestimmt genügend da, eine Dauerausstellung zu füllen.
Im «Boten der Urschweiz» las ich nämlich kürzlich, dass im Kanton Schwyz vornehmlich «Bauern und Bonzen» wohnten. Letztere haben bekanntlich die Wände voller Kunst, die Dachböden und Keller auch. Diese zu entrümpeln und die ansehnlichen Spekulationsobjekte der geneigten Bevölkerung zum Bestaunen zur Verfügung zu stellen, das wär doch eine Heldentat. Und rein damit in eine der von Erhard Sigrist dokumentierten Hütten und verlotterten Firmengebäude, die doch sehnlichst um Hilfe schreien.
17.11.21, Tina Inderbitzin
Dieser Artikel ist bei kultz.ch (ehemaliges Zentralschweizer Online-Magazin für Kultur und Satire) erschienen.
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