Sie haben nun ein Jahr lang die Schwyzer Kultur und Kulturpolitik beobachtet. Welche Schlüsse ziehen Sie?
Dank tiefgründigen Fragen kam ein konstruktiver Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern von Religion, Wirtschaft, Politik und Tourismus in Gang. Das Anliegen, Teil der Gesellschaft sein zu dürfen, ist angekommen. In berührenden Begegnungen zwischen traditionellen und zeitgenössischen Kulturformen wurde klar, dass das Miteinander möglich ist und die zeitgenössische Kultur keine Gefahr fürs Brauchtum ist.
Sie erhielten für diese Aufgabe auch Unterstützung vom Kanton. Konnten Sie trotzdem frei arbeiten?
Der Werkbeitrag für die Vorproduktion und der Beitrag vom Swisslos-Fonds für die Umsetzung waren an keine Vorgaben geknüpft. Ich konnte frei und prozessorientiert arbeiten.
Wie geht es nun weiter?
Nach den ersten vier Anlässen ist der erste Teil abgeschlossen. Die Öffnung von Denkräumen stand im Zentrum, nun kommen ganz konkrete Anliegen auf den Tisch, welche direkten Bezug zur Kulturpolitik im Kanton Schwyz herstellen.
Woran fehlt es den Schwyzer Kulturschaffenden denn am dringendsten?
Es gibt Kulturhäuser, die mit wenig Aufwand einen grossen Mehrwert für die Bildung, Wirtschaft und Kulturpolitik wären. Die Grenzen der Ehrenamtlichkeit sind an vielen Orten überschritten.
Inwiefern?
Xavier Koller schrieb mir neulich: «Oft sind es nicht Konzepte, die entscheidend sind, als vielmehr der direkte Kontakt zu Personen, die einem Gehör schenken und die Positionen besetzen, dank denen sie etwas bewegen können.» Petra Gössi und Marlene Müller-Diethelm sind wichtige FDP-Politikerinnen in der nationalen und kantonalen Politik und wissen um den Standortvorteil von zeitgenössischer Kultur. Sie können mit grosser Erfahrung helfen, Allianzen zu bilden. Es bräuchte auch eine Kulturlobby als Ansprechpartnerin für Wirtschaft und Politik.
Bedauert wird immer wieder, dass Schwyz kein Kultur(förder)gesetz habe. Was würde ein solches bringen?
Es ist tatsächlich schon längst überfällig und würde die zeitgenössische Kultur fassbar machen. Bei anderen Abteilungen vom Amt für Kultur gibt es solidere rechtliche Grundlagen, etwa das Gesetz über die Denkmalpflege und Archäologie oder das Archivgesetz. Die Abteilung Kulturförderung würde aufgewertet, und der Kanton dürfte in Kulturinstitutionen investieren. Es würde zur Sichtbarkeit der Kultur beitragen, weil sie regelmässig demokratisch verhandelt würde.
Ein erster Anlauf scheiterte im Jahr 2005 an der Urne. Denken Sie, dass die Chancen heute grösser wären?
Die Lehren sind gezogen. Wenn ein Kulturfördergesetz von der kulturellen Basis, vom lokalen Gewerbe und von Wirtschaftsverbänden als Vorteil gesehen wird, dann ja!
Sie selber «wanderten» nach Basel aus, weil Sie dort besser arbeiten konnten. Was wäre nötig, damit mehr Kulturschaffende im Kanton Schwyz blieben?
Es bräuchte mehrere Kulturorte mit Jahresbetrieb. Die wirtschaftliche Anbindung des Kultursektors funktioniert gleich wie im Tourismus: dank existenzsichernden Jobs kann ein fruchtbares Umfeld entstehen. Wenn der gewählte Regierungsrat Xaver Schuler seinen Wahlkampfslogan wahrmacht und sich für das Gewerbe einsetzt, kann er durch Stärkung der brachliegenden Kulturwirtschaft viel bewirken.
Der Ruf nach mehr Unterstützung kontrastiert die reichhaltige Kulturszene, die es aber auch in Schwyz gibt. Geht die Rechnung der Regierung mit der «Eigenverantwortung» letztlich nicht doch auf?
Der Begriff Unterstützung zementiert das Bild mit der hohlen Hand. Die Reichhaltigkeit bezieht sich wohl auf ehrenamtliche Kultur, sie wird oft in Vereinen ausgeübt. Hauptberufliche Kulturschaffende möchten nicht Bittsteller, sondern Teil des Wirtschaftskreislaufs sein und auch Steuern zahlen. Erst wenn solche Strukturen gegeben sind, geht die Rechnung auf.
Für viele sind Landtheater oder auch Folkloreabende gelebte Kultur. Was haben Sie gegen solche Anlässe?
Solche Kulturproduktionen sind wichtig für den Zugang zu unterschiedlichen Kultursparten. Der Jodelchor und der Experimentalfilmclub können nicht gegeneinander ausgespielt werden. Nur wenn es beide gibt, können sie voneinander profitieren.
Ist das Problem nicht letztlich, dass die Kulturschaffenden eine andere Vorstellung von Kultur haben als die Durchschnittsschwyzer in einem halt konservativen Kanton?
Konservative Haltung und zeitgenössische Kultur schliessen sich nicht aus. Die 1.-August-Rede von Graziella Contratto, die 2022 von Philippe Schuler in seiner Rolle als Meinrad Inglin in Schwyz gehalten wurde, zeigte auf, wie aktuelle Kultur auch konservative Kreise anspricht.
Der Kanton Schwyz gibt jährlich eine Million Franken aus dem Lotteriefonds in den Kulturfonds. Ist das ein Fluch oder Segen?
Dies ist gesamtschweizerisch in allen Kantonen nach gleichen Vorgaben geregelt, wofür die Kantone die ihr vom Bund zufliessenden Swisslos-Gelder auszugeben haben. Es ist sicher sinnvoll und schön, wenn sich der Kanton Schwyz an solche Vorgaben hält. Noch schöner und hilfreich für die öffentliche Meinungsbildung wäre es, wenn die detaillierten Einzelbeträge aufgeführt wären, wie das in sechs von sieben Nachbarkantonen der Fall ist.
Schwyz/Basel
Erschienen im Bote der Urschweiz
07.11.2022, Jürg Auf der Maur
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